Was auch immer nötig ist – koste es, was es wolle?
16. Oktober 2022 (Anzeige)
Ariel Bezalel argumentiert, dass die Fed die Wirtschaft mit ihrer engstirnigen Bekämpfung der Inflation in eine tiefe Rezession stürzen wird – und Anleihenanlegern dadurch attraktive Anlagemöglichkeiten eröffnet.
Bei ihrer September-Sitzung hat die US-Notenbank (Fed) die Zinsen wie erwartet um 0,75% erhöht. Damit ist der US-Leitzins jetzt so hoch wie zuletzt 2008. Außerdem bekräftigte die Fed ihre Entschlossenheit, zu tun, was auch immer nötig ist, um die Inflation in den Griff zu bekommen.
Wir betrachten derartige Aussagen als Ausdruck einer eklatanten Missachtung der möglichen Kollateralschäden. In den letzten drei Fed-Sitzungen wurden die Zinsen um 225 Basispunkte angehoben, insgesamt sind es in diesem Jahr bereits 300 Basispunkte: Das ist ein enormer Anstieg in einem kurzen Zeitraum, zumal die Auswirkungen dieser Zinsschritte erst in zwölf bis 18 Monaten vollständig zum Tragen kommen werden. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags gehen die Märkte davon aus, dass die Fed die Zinsen um mindestens weitere 120 Basispunkte anheben wird. Damit lägen diese Anfang nächsten Jahres bei 4,6%. Die Realverzinsung – die Rendite einer Anleihe nach Abzug der vom Markt eingepreisten Inflationserwartungen – ist ebenfalls deutlich gestiegen.
Wir glauben, dass die Nachwelt diese Phase der Zentralbankpolitik als Abfolge gravierender Fehlentscheidungen betrachten wird. Die Inflation hat sich als hartnäckiger erwiesen, als viele Investoren – darunter auch wir – erwartet hatten. Sie lässt aber ganz klar nach. Eine weltweite Rezession wird kommen. Die Zentralbanken und Regierungen haben die Geld- und Fiskalpolitik bereits massiv gestrafft: durch mehr als 300 Zinserhöhungen weltweit seit dem ersten Quartal 2021, durch eine Rückführung der öffentlichen Ausgaben, durch einen deutlich erstarkten US-Dollar (der Dollar notiert jetzt gegenüber einem breiten Währungskorb auf einem Niveau wie zuletzt kurzzeitig Anfang der 2000er Jahre und davor in den 1980ern) und durch eine enorme Vermögensvernichtung über Wertverluste an den weltweiten Aktien- und Anleihenmärkten. Eine weitere Verschärfung der Geldpolitik durch Zinserhöhungen und die Einstellung von Assetkäufen wird eine unnötig tiefe und schmerzhafte globale Rezession verursachen.
Zu große Angst vor der Inflation
Warum geht die Fed so aggressiv vor? Wir glauben, dass sie zu viel Angst vor der Inflation hat. Außerdem glauben wir, dass der Fed-Vorsitzende Jerome Powell fürchtet, die Fehler der frühen 1970er Jahre zu wiederholen, als es der Fed nicht gelang, die Inflation in den Griff zu bekommen. Wir wollen die diesjährigen Preissteigerungen keineswegs herunterspielen – diese haben zweifellos spürbare Auswirkungen für Familien, Verbraucher und Unternehmen. Lebensmittel sind teurer geworden und die Rohstoffpreise sind in die Höhe geschossen – vor allem der Gaspreis, was Europa besonders zu schaffen macht. Die Faktoren, die diese Inflationsentwicklung verursacht haben, sind jedoch nicht struktureller Natur und beginnen bereits nachzulassen.
Im Jahr 2021 waren die durch die Corona-Pandemie verursachten Lieferkettenstörungen der Haupttreiber der Inflation. Die Situation der globalen Lieferketten hat sich inzwischen entspannt. In diesem Jahr ist der Krieg in einer für die Versorgung mit Agrarprodukten und Energie wichtigen Region (Ukraine/Russland) der größte Preistreiber. Der Erdgaspreis hat sich in diesem Jahr mehr als verdoppelt und Öl hat sich in der Spitze um fast 50% verteuert. Gleichzeitig haben die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt die Kosten für Unternehmen weiter erhöht. Diese höheren Inputkosten – für Energie, Arbeitskräfte, Lebensmittel – haben die Preise weltweit in die Höhe getrieben.
Die Inflation lässt nach
Aktuell sehen wir die Inflation hauptsächlich durch den Rückspiegel – der Blick nach vorne zeigt, dass die Teuerung nachlässt. Durch Covid-19 bedingte Störungen wie Staus in Häfen oder Lieferkettenunterbrechungen lösen sich zunehmend auf. Die Frachtraten brechen ein. Die Rohstoffnotierungen (mit Ausnahme von Erdgas) sind deutlich gegenüber ihrem Höchststand vom zweiten Quartal gesunken. Durch den Anstieg der Lebenshaltungskosten zeigt sich in den USA bereits, dass die im Rahmen des Pandemie-Hilfspakets ausgegebenen staatlichen Schecks nicht mehr ausreichen und die Verbraucher vermehrt Kreditlinien ausschöpfen. Daher erwarten wir, dass wieder mehr Menschen in den Arbeitsmarkt zurückkehren werden. Diese Indikatoren stimmen uns zuversichtlich, dass die Inflation nachlassen wird. Tatsächlich zeigt sich dies auch bereits in den langfristigen Inflationserwartungen, die nicht mehr weit von den Zielwerten der Zentralbanken entfernt liegen und weiter rückläufig sind. So sind beispielsweise die ein- und zweijährigen Breakeven-Rates in den USA, die die Inflationserwartungen des Marktes für diesen Zeitraum widerspiegeln, in den letzten Monaten stark gesunken. Hervorzuheben ist auch, dass das annualisierte Geldmengenwachstum in den vergangenen sechs Monaten bei knapp 1% lag. Wenn die Fed ihre Geldpolitik weiter strafft, dürfte es sich noch weiter verlangsamen.
Es kann einige Zeit dauern, bis die Inflation zurückgeht. Die Jahresraten der Teuerung werden immer noch durch Basiseffekte beeinflusst. Die jüngsten Zahlen zum Verbraucherpreisindex waren höher als prognostiziert. Zu einem Großteil war dies auf die Preise für Wohnraum/Miete zurückzuführen, die etwa 30% der Kerninflation in den USA ausmachen, insbesondere die kalkulatorische Miete für selbstgenutztes Wohneigentum (Owners‘ Equivalent Rent, OER). Die Teuerung der Wohnkosten ist „geglättet“ und ändert sich nur langsam. Der US-Immobilienmarkt verliert deutlich an Dynamik, da höhere Hypothekenzinsen und Preise Wohnraum so unerschwinglich gemacht haben wie zuletzt vor der globalen Finanzkrise. Dadurch werden letztlich auch die OER sinken. Erwähnenswert ist auch, dass sich die niedrigeren Rohstoffpreise noch nicht vollständig in niedrigeren Preisen an den Zapfsäulen oder in den Geschäften niedergeschlagen haben.
Wirklich erschreckende Daten
Auf Sicht der nächsten sechs bis zwölf Monate zeichnet sich bereits ein Trend hin zu einer deutlich moderateren Inflation ab. Noch nicht berücksichtigt ist dabei, dass eine Rezession die Inflation noch schneller dämpfen wird. In den vergangenen 100 Jahren haben Rezessionen im Durchschnitt zu einem Rückgang der Inflation um knapp 7% geführt. Im Jahr 2008 drehte der Trend innerhalb von acht Monaten und aus einer Inflation von 6% wurde eine Deflation. Selbst in den 1970er Jahren, als sich die Welt mit weitaus stärkeren strukturellen Inflationstreibern wie dem Eintritt der Babyboomer in den Arbeitsmarkt konfrontiert sah und die weltweite Verschuldung deutlich geringer war, führten Rezessionen zu einem massiven Rückgang der Inflation und Anleihenrenditen.
Die Hoffnung, dass das globale Wirtschaftswachstum aufrechterhalten werden kann, gründet auf einer rückwärtsgewandten Betrachtung der Lage und wird durch die aktuellen Daten nicht gestützt. Während die Beschäftigungszahlen in den USA robust sind, sehen wir einen Trend zur Annahme von Zweitjobs, um die höheren Kosten zu bewältigen. Die zukunftsgerichteten Indikatoren sind erschreckend. In mehr als 40% der Länder liegt der Einkaufsmanagerindex (PMI) unter 50, was auf einen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit hindeutet. Betrachtet man die Auftragseingänge, die den PMI-Zahlen vorausgehen, steigt der Anteil der Länder, in denen der Trend abwärts gerichtet ist, auf über 70%. Das deutet auf eine weitere Verschlechterung der Lage hin. Den Einbruch der Frachtraten und am Wohnungsmarkt haben wir bereits erwähnt: Die monatlichen Hypothekenanträge in den USA sind auf den niedrigsten Stand seit 2015 gefallen. Und so wie sich der US-Immobilienmarkt entwickelt, entwickeln sich auch die Beschäftigung und das Wachstum insgesamt.
Die nachstehende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang zwischen der Stimmung am Wohnungsmarkt und der Arbeitsmarktsituation in den USA. Auch in Australien, Kanada, Südkorea, Schweden und vielen weiteren Ländern schwächelt der Wohnungsmarkt. In den letzten 75 Jahren folgte auf einen Anstieg der Arbeitslosenquote um mehr als 0,5% stets eine Rezession. Die Lebenshaltungskostenkrise ist zweifellos hoch problematisch. Eine Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit wäre aber noch viel verheerender.
Der Arbeitsmarkt folgt den Vorgaben des Wohnungsmarktes
Stand: 31.08.22. Quelle: Bloomberg
Die Unternehmensgewinne haben sich bislang relativ stabil gezeigt, sind aber ein weiterer rückwärtsgerichteter Indikator. Der Konsum wird durch die Inflation massiv ausgebremst. Zusammen mit den negativen Vermögenseffekten der Kursentwicklung an den Aktien- und Anleihenmärkten und der Schwäche am Wohnungsmarkt hat dies zu einem Einbruch des Konsumklimas geführt. Unter der Oberfläche hat sich die Finanzierung des Konsums geändert, da die im Rahmen des Pandemie-Hilfspakets ausgegebenen staatlichen Schecks nicht mehr ausreichen und die Verbraucher vermehrt auf Kreditkarten und andere Kreditlinien zurückgreifen. Diese Verschlechterung der finanziellen Lage der privaten Haushalte wird sich auch in den Unternehmensgewinnen niederschlagen. Die ersten Anzeichen dafür sehen wir bereits in den angekündigten Stellenkürzungen bei Unternehmen wie FedEx, Meta und Boeing. Verbraucherorientierte Unternehmen wie Walmart und Target bereiten sich darauf vor, die Preise zu senken, um Lagerbestände abzubauen. Es wird noch schlimmer werden.
China schwächelt
Wir sind auch sehr besorgt über die langfristigen Auswirkungen Chinas auf das globale Wachstum. Das Ausmaß, in dem sich Chinas demografische Struktur in den nächsten ein bis zwei Jahrzehnten verschlechtern wird, ist erschreckend. Dieser Prozess wird noch dramatischer ausfallen als in Japan, Südkorea und Europa. Die Kosten für die Bewältigung der Schuldenblase am chinesischen Immobilienmarkt sind immens: Wir vermuten, dass China versuchen wird, sich auf Kosten eines wesentlich geringeren Wachstums „durchzuschlagen“. Ein weiterer Belastungsfaktor ist die Null-Covid-Politik der chinesischen Regierung. China wird die Weltwirtschaft diesmal nicht vor der Rezession retten und für Schwellenländer und Länder wie Australien, die enge Verbindungen zu China unterhalten, wird es besonders schwierig werden.
Angesichts der sprunghaft gestiegenen Zinsen und Spreadausweitung dürfte dieses Jahr eines der schwierigsten sein, die wir im Anleihenbereich je erlebt haben. Mit Blick auf das vierte Quartal signalisieren die Anleihenrenditen, dass die Inflation die Fed dazu bewegen wird, an ihrem Straffungskurs festzuhalten, während die Aktienmärkte eine relativ weiche Landung eingepreist zu haben scheinen. Unsere Analyse zeichnet ein anderes Bild.
In der Geldpolitik gibt es eine beträchtliche Verzögerung zwischen Maßnahme und Wirkung: Die Fed und andere Zentralbanken haben die Geldpolitik bereits mehr als genug gestrafft, um die Inflation zu bremsen und eine Rezession auszulösen. Trotzdem straffen sie die Geldpolitik weiter, weil die Auswirkungen ihrer Maßnahmen noch nicht eingetreten sind. Aus Anlegersicht entscheidend ist, dass diese Kette von Ereignissen die negative Korrelation zwischen Staatsanleihen und Risikoanlagen, die in den letzten zwölf Monaten nicht mehr zu beobachten war, wieder herstellen wird.
Implikationen für Anleger
Was bedeutet das für die Märkte und unsere Portfolios? Erstens sind wir fest davon überzeugt, dass die Anleihenrenditen deutlich sinken werden, wenn eine tiefe Rezession die Fed zur Kehrtwende zwingt und dazu führt, dass es beim „Was auch immer nötig ist“-Narrativ nicht mehr um die Bekämpfung der Inflation, sondern um die Verhinderung einer wirtschaftlichen Depression geht. Die aktuellen übermäßigen Zinserhöhungen werden in der Zukunft zu noch niedrigeren Renditen führen. Das macht die Renditen bonitätsstarker Staatsanleihen mit mittleren und langen Laufzeiten in den USA und Australien unglaublich attraktiv. Anders als die Aktienmärkte scheinen die Kreditmärkte eine Rezession bereits eingepreist zu haben, und Teile dieses Anlageuniversums erscheinen attraktiver – auch wenn mit einer anhaltenden Volatilität zu rechnen ist. Unser Vorteil als Anleihenanleger besteht darin, dass wir durch die Auswahl der richtigen Schuldtitel und die Vermeidung von Zahlungsausfällen schon jetzt Zugang zu extrem attraktiven Renditen erhalten können. Während die Weltwirtschaft schweren Zeiten entgegensieht, eröffnet sich uns an den Anleihenmärkten eine einmalige Anlagechance.
Quelle für alle Daten: Bloomberg, Stand: 23. September 2022
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