Immun gegen Zölle: Warum einige Unternehmen stark bleiben
8. September 2025
Die Zollstory geht weiter ... die wichtige Frage ist deshalb: Was schützt Unternehmen gegen die wechselhafte Handelspolitik?
Eine klare langfristige Ausrichtung auf robuste Unternehmen könnte sinnvoller sein als auf kurzfristige Ängste zu reagieren.
In diesem Artikel betrachtet Capital Group Faktoren, die bestimmen, wie gut oder schlecht Unternehmen zollbedingte Herausforderungen verkraften können.
1. Preismacht
Unternehmen, die gestiegene Kosten an ihre Kunden weitergeben können, haben große Preismacht. Diesen Vorteil genießen meist Unternehmen mit einer vergleichsweise unelastischen Nachfrage – entweder, weil sie unverzichtbare Produkte anbieten, ein starkes Markenimage oder treue Kunden haben oder besondere Verträge abschließen. Diese Faktoren ermöglichen Firmen selbst bei steigenden Kosten eine stabile Rentabilität und dauerhaft gute Wettbewerbsposition.
Produkte des täglichen Bedarfs: Unternehmen, die Produkte oder Leistungen bieten, die als dringend notwendig erachtet werden, haben einen Preisvorteil. Beispielsweise gelten Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen (HVAC) häufig als unverzichtbar, weil sie Innenräume komfortabel und sicher machen. Unternehmen aus dieser Branche (z.B. Carrier Global) hatten in den letzten Jahren große Preismacht.
Neben der Unverzichtbarkeit ihrer Produkte hat diese Industrie einen weiteren Vorteil: einen starken, verlässlichen Austauschzyklus. Denn wenn Ihre Heizung ausfällt, ersetzen Sie sie in der Regel schnell. Tatsächlich handelt es sich bei den Umsätzen im HVAC-Bereich mehrheitlich um wiederkehrende Erlöse, die durch den Austausch von Systemen und Teilen entstehen.
Kundentreue und Markenstärke: Einige Unternehmen haben aufgrund ihrer starken Marke oder der Besonderheiten ihrer Produkte eine sehr treue Kundenbasis. So reagieren die Käufer der Produkte des Technologieriesens Apple üblicherweise weniger sensibel auf Preissteigerungen als Kunden anderer Mobilgeräte-Anbieter. Angesichts der starken Kundenbasis könnte Apple vermutlich jegliche Zölle zu 100% an seine Käufer weitergeben. Natürlich bleibt es abzuwarten, ob und wie stark die Nachfrage tatsächlich sinken wird, wenn die Preise deutlich steigen. Aber man kann mit gutem Gewissen behaupten, dass Apple-Kunden vermutlich eher bereit sind, Preissteigerungen zu tolerieren als die Käufer anderer Mobilgeräte.
Auch Luxusgüterhersteller wie Hermès sind für ihre starke Marken und langen Wartelisten bekannt. Ihre Kunden sind häufig eher bereit, höhere Preise zu zahlen – ohne dass die Nachfrage nennenswert nachlässt.
Verträge: Rüstungsunternehmen haben üblicherweise wegen der Struktur ihrer Verträge große Preismacht. Über die Hälfte ihrer Verträge beruhen zumindest in einer Phase auf einer Zuschlagskalkulation, während die übrigen auf Festpreisen basieren.1 Aber auch die Festpreise werden chargenweise verhandelt. Wenn also ein Vertrag ausläuft, beruht der Folgevertrag auf Grundlage der dann aktuellen Kosten. Hinzu kommt, dass Verteidigung in vielen Ländern als strategische und unverzichtbare Branche gilt, sodass die Nachfrage auch bei steigenden Kosten nicht deutlich sinkt.
Begrenztes Angebot: Der Markt bestimmt den Preis. Bei begrenztem Angebot steigt er, wenn die Nachfrage stabil bleibt oder zulegt. Hochmoderne KI-Halbleiter-Anbieter scheinen ihre Preise deutlich erhöhen zu können, um die Auswirkungen von Zöllen auf ihre Margen auszugleichen. Für die Produkte von NVDIA und Broadcom gilt, dass das Angebot begrenzt ist und es kaum geeignete Alternativen gibt. Deshalb dürften sie höhere Preise durchsetzen können.
2. Kostenübernahme
Einige Unternehmen, denen eine Weitergabe höherer Preise an ihre Kunden nicht möglich ist, können sie vielleicht selbst übernehmen. Dies kann verhindern, vor allem wenn man davon ausgeht, dass die Zölle nicht dauerhaft sind. Allerdings kann dies die Margen belasten, wenn die Zölle länger als erwartet hoch bleiben.
Die eigene Übernahme der Kosten kann eine wirksame Strategie für Unternehmen sein, die grundsätzlich weniger unter höheren Zöllen leiden, vor allem, wenn längerfristig trotzdem Preiserhöhungen möglich sind.
Für Firmen aus Branchen mit hohen Bruttomargen ist es einfacher, höhere Faktorkosten zu tragen.
Branchen mit hohen, stabilen Margen können höhere Faktorkosten besser tragen

Die Ergebnisse der Vergangenheit sind keine Garantie für künftige Ergebnisse.
Quellen: Capital Group, FactSet, MSCI, Ausgewählte Branchen des MSCI ACWI Index. Durchschnitts- und Standardabweichung der Bruttomarge in den fünf Jahren bis zum 31. März 2025.
Zu den Unternehmen mit stabilen, hohen Margen zählen beispielsweise die Biotechnologiefirma Vertex Pharmaceuticals, der Medizinroboter-Hersteller Intuitive Surgical und der Nahrungsmittel- und Getränkekonzern Nestlé.
Doch selbst in Branchen mit niedrigeren Margen können Unternehmen steigende Kosten selbst tragen – wenn sie davon ausgehen, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt und sie ihren Marktanteil verteidigen sowie wettbewerbsfähig bleiben wollen.
Ein Beispiel ist die Restaurantkette Chipotle, die bereits angekündigt hat, höhere Zölle nicht an ihre Kunden weitergeben zu wollen. Zölle auf Importe aus Mexiko, wie Avocados, könnten dafür sorgen, dass die Kosten für Chipotle deutlich steigen. Das Unternehmen betont jedoch, dass es dank seiner guten Finanzstrategie Inflationsdruck verkraften kann, ohne die Preise zu erhöhen. Damit will es die Nachfrage kurzfristig stabil halten. Auch andere Anbieter von Konsumverbrauchsgütern wie Walmart und CostCo planen, vorübergehend höhere Kosten selbst zu tragen.
3. Anpassungen der Lieferketten
Unternehmen, die ihre Lieferketten anpassen können, um weniger abhängig von Ländern zu werden, die hohen Zöllen unterliegen, haben einen strategischen Vorteil. Möglich ist der Einkauf von Materialien oder Produkten aus Ländern mit niedrigeren Zöllen, eine Ausweitung der inländischen Produktion oder der Bau von Fertigungsanlagen in Zielmärkten.
Dies war schon in der ersten Amtszeit Trumps zu beobachten. 2018 wurden Zölle auf Solarzellen und Waschmaschinen aus China eingeführt, 2019 folgten Zölle auf die meisten anderen chinesischen Produkte. Als sich die
Handelsspannungen verschärften, verlagerten viele US-Unternehmen und ihre Zulieferer die Produktion in Länder außerhalb Chinas. Außerdem exportierten sie zusätzlich in andere asiatische Länder oder nach Mexiko.
Handel zwischen den USA und China
US-Exporte und -Importe von Produkten nach und aus China (in Milliarden US-Dollar)
Daten von 2000 bis 2024. Quelle: US Department of Commerce (Bureau of Economic Analysis)
Multinationale Unternehmen können ihre Lieferketten in der Regel sehr gut anpassen. Sie sind von Natur aus in verschiedenen Ländern tätig und viele agieren „multi-lokal“. Durch ihre internationale Präsenz profitieren sie von Größenvorteilen, einer diversifizierten Kundenbasis, und weltweiter Markenbekanntheit. Außerdem verfügen sie über die notwendigen Assets und Ressourcen, um auf individuelle Kundenpräferenzen und lokale
Vorschriften einzugehen.
Unternehmen mit lokalen Lieferketten und lokaler Fertigung in wichtigen Märkten wie den USA unterliegen nicht nur weniger Lieferengpässen. Sie könnten auch die Folgen von Zöllen und Handelsbeschränkungen
besser verkraften.
Zu den Firmen mit solchen Geschäftsmodellen zählen Siemens, Carrier Global und Schneider Electric. Sie alle haben einen großen Teil ihrer Lieferketten in den USA, sodass sie weniger anfällig für Importzölle sind.
4. Branchenentwicklungen
Ein weiterer Grund dafür, dass die oben genannten Unternehmen Zölle besser verkraften könnten ist, dass sie dem Industriesektor angehören. In der Regel importieren sie Komponenten mit niedrigen Margen und werten sie im Inland auf. Weil Industrieprodukte häufig sperrig sind und ihr Transport viel Geld kostet, sind Zulieferer und Kunden aus dem Land, in dem die Produktion erfolgt, besonders wichtig. Der internationale Handel spielt eine untergeordnete Rolle.
Der Automobilsektor ist dagegen anfälliger für Zölle. Einige Autohersteller aus Europa und Asien haben ihre US-Auslieferungen nach der Ankündigung von Zöllen in Höhe von 25% auf Autos und Autoteile gestoppt. Für viele sind die USA einer der rentabelsten Märkte. Wenn die Zölle bestehen bleiben, werden Automobilhersteller vermutlich einen Teil ihrer Fertigung in die USA verlagern. Das bedeutet aber doppelte Lieferketten und wird mindestens drei bis fünf Jahre in Anspruch nehmen.
Deshalb könnten Unternehmen mit anders strukturierten Lieferkettenstrategien robuster sein. Tesla ist bekannt für seine vertikale Integration. Da ein größerer Teil seiner Fertigung – von der Batterieherstellung bis zur Fahrzeugmontage – im eigenen Unternehmen erfolgt, hat Tesla mehr Kontrolle über seine Lieferkette.
Außerdem hat das Unternehmen seine Fertigung diversifiziert und Fabriken in wichtigen Märkten außerhalb der USA errichtet – darunter zwei Gigafactories in der EU (Berlin-Brandenburg) und China (Shanghai). Etwa 95% der Komponenten, die in der Gigafactory in Shanghai verbaut werden, kommen aus China.2 Dieses Modell kann helfen, die Folgen möglicher reziproker
Zölle abzufedern.
Fazit: Die unsichere Handelspolitik ist zweifellos eine Herausforderung, die – wenn sie länger anhält – das Wirtschaftswachstum belasten und die Inflation in die Höhe treiben könnte.
Aber sie zeigt auch, dass anpassungsfähige Unternehmen mit guten Fundamentaldaten dauerhafte Wertschöpfung versprechen. Wer die Merkmale stabiler Unternehmen kennt – lokale Fertigung, Preismacht, sektorspezifische Stärke und Flexibilität –, kann investieren, ohne sich vom kurzfristigen Noise beirren zu lassen.
1 Quelle: United States Government Accountability Office, Weapons System Annual Assessment. Stand 11. Juni 2025.
2 Quelle: Digitimes.com, Mai 2025.
Stand aller Daten 31. Mai 2025, Quelle: Capital Group (falls nicht anders angegeben).
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