Das Scheitern der bequemen Lösungen - warum die 3-6-3 Regel nicht mehr gilt
23. Mai 2023 (Anzeige)
Die ultra-aggressive Niedrigzinspolitik der westlichen Notenbanken hat im Finanzsystem offensichtlich auch drastische Schieflagen produziert. Es wird immer deutlicher, dass eine Rückkehr zur Normalität jetzt nur noch unter erheblichen Schmerzen möglich ist.
Axel Krohne |
Die Bankenkrise ist eine Krise des reichen Westens
Die Anleger sind guten Mutes ins neue Börsenjahr gestartet. Trotz weiterer Leitzinserhöhungen setzte sich vielfach die Überzeugung durch, dass die Inflation auf dem Rückzug sei, und dass die Notenbanken die Zügel bald wieder lockerer lassen könnten. Im März kam es dann aber plötzlich zu einer Bankenkrise. Mehrere US-Institute und der Finanzriese Credit Suisse gerieten – scheinbar völlig überraschend – in Turbulenzen, und sowohl bei den Kunden als auch bei den Investoren griff Panik um sich.
Inzwischen haben sich die Gemüter wieder beruhigt. Dies gelang allerdings nur, weil die Staaten und Notenbanken sofort wieder mit nahezu unbegrenzten Garantien und Liquiditätszusagen reagierten. Daneben wurde mit der Credit Suisse eines der wichtigsten Institute Europas mit dem Wettbewerber UBS zwangsfusioniert – in einer beispiellosen Aktion unter Ausschluss der Aktionärs-Mitbestimmung und ohne jegliche bilanzielle Bestandsaufnahme. Für die Politik und die Märkte war aber nur wichtig, dass ein offenkundiges Problem schnellstmöglich von der Bildfläche verschwand.
Es ist bezeichnend, welche gewaltigen Zusicherungen wieder einmal gemacht werden mussten, um die Zweifel an den Märkten zu zerstreuen. Zusätzlich unterstrichen wurde die Dramatik dadurch, dass sich sowohl Olaf Scholz als auch US-Präsident Joe Biden öffentlich zu Erklärungen genötigt sahen, wonach das Geld der Sparer sicher sei, und die Banken weitaus stabiler als in Zeiten der Finanzkrise. Dabei war Letzteres durch den blitzartigen Banken-Run ja bereits unmissverständlich widerlegt worden.
Nicht die Schwellenländer sind fragil!
Noch viel bezeichnender ist aber, dass es wieder einmal das Bankensystem der reichen westlichen Hemisphäre war, das unter Stress geriet – und nicht etwa die Banken aus den angeblich doch so fragilen Schwellenländern. Die ultra-aggressive Niedrigzinspolitik der westlichen Notenbanken hat dort also nicht nur das traditionelle Bankgeschäft zerstört – in dem die Banker 3% Zinsen auf Geld bezahlten, es zu 6% weiterverleihen konnten und sich um 3 Uhr auf dem Golfplatz trafen („3-6-3-Regel“). Sie hat im Finanzsystem außerdem offensichtlich auch drastische Schieflagen produziert, die nun nicht mehr ohne Weiteres wieder abgebaut werden können. Es wird immer deutlicher, dass eine Rückkehr zur Normalität jetzt nur noch unter erheblichen Schmerzen möglich ist.
Auch wenn in den reichen Ländern das Wetter meist schlechter ist als in den Schwellenländern: Die Banken der reichen Länder sind zu „Schönwetter-Banken“ geworden, die keine Krisen mehr einkalkulieren und keine Überraschungen mehr vertragen. Die Zinsen waren lange nahe Null – also glaubte man, so rechnen zu können, als ob das immer so bleibt. Das legt nahe, dass es bei der Einwertung aller übrigen Risiken (Immobilien, Unternehmen etc.) ähnlich lief.
Wo findet man krisenfeste Banken?
Der westliche Finanzsektor hat in den letzten Jahrzehnten schwere Verwerfungen erlitten. Trotzdem verhält sich man sich dort immer noch so, als gäbe es nichts, das die gewohnten Verhältnisse erschüttern könnte. In den Emerging Markets ist es genau umgekehrt. Dort sind die Banken auf Krisen geradezu konditioniert. Sie verfolgen darum eine extrem konservative Kreditvergabe und meiden Risiken um fast jeden Preis (sogar bei der Vergabe von Hypotheken sind Schwellenländerbanken meist sehr zurückhaltend).
Im Ergebnis führt das aber dazu, dass für Anleger die Bankaktien der Schwellenländer die weitaus sichereren Anlagen sind. Die Institute dort führen nicht nur Bücher, die auch normalsterbliche Investoren noch verstehen können, sondern sie sind auch renditestark und krisenresistent. Darum gab es etwa während der Finanzkrise 2008 in fast keinem Schwellenland eine Bankenkrise, obwohl die Lehman-Pleite damals das gesamte globale Finanzsystem erschüttert hat.
Westafrikas Banken: Ein Geheimtipp
Dessen ungeachtet sind in der aktuellen Krise im März auch die Aktien der Schwellenländer-Banken wieder abverkauft worden. Wir nutzen das dann allerdings, um bei einigen dieser Institute neu einzusteigen beziehungsweise unsere Positionen auszubauen. Unter anderem griffen wir bei drei westafrikanischen Bankenwerten zu, die zurzeit geradezu unschlagbare Fundamentaldaten aufweisen – bei der Société Générale Banque Côte d’Ivoire, der Bank of Africa Senegal und bei der Bank of Africa Burkina Faso.
Societe Generale Cote D'ivoire in CFA | 1 Jahr
Quelle: Reuters
Bank of Africa Senegal in CFA | 1 Jahr
Quelle: Africanxchanges
Bank of Africa Burkina Faso in CFA | 1 Jahr
Quelle: Africanxchanges
Die KGV-Bewertungen dieser Bankaktien befinden sich alle im niedrigen einstelligen Bereich, und die Eigenkapitalrenditen liegen sämtlich bei über 20%. Zugleich agieren die Unternehmen in der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion, deren Währung an den Euro gekoppelt ist. Somit weisen diese Banken-Investments noch nicht einmal ein Wechselkursrisiko auf. Die Aktien dieser Institute sind im AvH Emerging Markets Fonds jeweils mit rund 1% gewichtet.
Ein Qualitätstitel aus Kasachstan
Daneben stiegen wir wieder bei der Halyk Savings Bank ein, wo wir schon vor einiger Zeit investiert waren. Die Gesellschaft ist Kasachstans größte Bank und genießt dort einen sehr guten Ruf; ihre Aktie ist nun schon seit über 15 Jahren auch an der Börse London gelistet. Der Finanzkonzern hat seinen Nettogewinn auch im schwierigen Jahr 2022 nochmals um knapp 20% gesteigert. Dennoch liegt die KGV-Bewertung dort inzwischen bei unter 3, und die Aktie weist außerdem eine Dividendenrendite von über 8% auf.
Halyk Savings Bank in KZT| 1 Jahr
Quelle: Reuters
Neuentdeckungen auf den Philippinen
Allerdings haben wir uns im ersten Quartal nicht nur auf Bankaktien fixiert. Ich habe außerdem eine Reise nach Südostasien unternommen, und mir dabei etliche Unternehmen angesehen, bei denen ein Besuch überfällig war. In einigen Fällen haben wir für den Fonds unmittelbar danach in deren Aktien investiert. Ich bin weiter der Meinung, dass es vor einer Investitionsentscheidung nichts Besseres gibt, als sich die entsprechenden Gesellschaften vor Ort anzusehen. Papier ist geduldig. Wenn man sich aber die Mühe macht, sich an Ort und Stelle mit Mitarbeitern und Führungskräften auszutauschen, dann bekommt man schnell ein Gefühl dafür, worum es in den Unternehmen eigentlich geht – und auch, welcher Geist dort vorherrscht.
Ein Termin war mir auf meiner Reise besonders wichtig – nämlich der Besuch der Holdinggesellschaft Cosco Capital auf den Philippinen. Unter anderem wollte ich mich dessen vergewissern, dass ich das Unternehmen richtig verstanden habe. Die Finanzpositionen und Beteiligungsverhältnisse, die ich zuvor recherchiert hatte, erschienen mir fast zu schön, um wahr zu sein. Nach dem Treffen schritten wir aber gleich zur Tat, und bauten bei Cosco Capital eine Position auf, die inzwischen rund 2% des Fondsvolumens umfasst.
Cosco Capital in PHP | 1 Jahr
Quelle: Reuters
Bilanz mit unglaublichen Aktivposten
Cosco Capital hält Anteile an verschiedenen philippinischen Unternehmen aus dem Konsumsektor, die zum Teil ebenfalls börsennotiert sind. Die wichtigsten Beteiligungen sind ein 49-Prozent-Anteil am Einzelhandelskonzern Puregold, der mehr als 500 Supermärkte in allen Größenordnungen betreibt. Daneben gehören Cosco 78% der Anteile an Keepers, dem größten Spirituosen-Importeur des Landes, der zugleich hoch profitabel ist. Hinzu kommen unter anderem noch etliche Einzelhandelsimmobilien.
Die Umsätze und Gewinne von Cosco Capital sind in den letzten Jahren stetig gewachsen. Dennoch ist die Aktie zurzeit nur mit einem KGV von rund 4 bewertet. Sie wird außerdem mit einem Abschlag von fast 70% auf den Buchwert gehandelt, und allein die Nettobarmittel von etwa 800 Mio. USD liegen fast 50% über der Marktkapitalisierung. Dies alles macht den Titel zu einer Value-Aktie par excellence, der nur darum so günstig zu haben ist, weil sich offensichtlich auch in Manila kaum jemand für Holding-Gesellschaften interessiert.
Gasflaschen – zu langweilig?
Ein weiteres spannendes Unternehmen von den Philippinen ist Prye Corp. Die Gesellschaft beliefert dort in erster Linie Haushalte mit Gasflaschen – ein Geschäftsmodell, das vielen Anlegern vermutlich zu langweilig ist. Dabei ist Pryce Corp durchaus erfolgreich. Der Marktanteil des Unternehmens wächst kontinuierlich, was sich auch in den Zahlen niederschlägt. Der Umsatz stieg in den letzten zehn Jahren deutlich von 140 auf 350 Mio. USD, und der Gewinn sprang sogar von 2 auf 29 Mio. USD nach oben. Insofern ist Pryce Corp. im Grunde ein Wachstumsunternehmen.
Der Gaspreis spielt für die Gewinnentwicklung so gut keine Rolle, sondern ist ein durchlaufender Posten. Dies alles macht Pryce Corp zu einem ebenso stabilen wie aussichtreichen Unternehmen. Dennoch wird auch diese Aktie lediglich mit einem KGV von rund 6 gehandelt. Die Aktie notiert außerdem unter Buchwert, und die Dividendenrendite liegt bei über 5%.
Pryce Corp in PHP | 3 Jahre
Quelle: Reuters
Der Konsumgigant
Nicht ganz so günstig kamen wir beim philippinischen Lebensmittelriesen San Miguel Food & Beverage zum Zuge. Die Aktie wird zurzeit mit dem rund 13fachen ihres für das laufende Jahr erwarteten Gewinns bewertet. Dafür verfügt der Konzern in dem Inselstaat mit seinen mehr als 100 Millionen Einwohnern aber auch nahezu über das Biermonopol. Das übrige Drittel seines Umsatzes erzielt das Unternehmen mit Fleisch, Geflügelprodukten und Fertiggerichten aller Art. San Miguel ist ein Hauptprofiteur der wachsenden Binnennachfrage in dem schnell wachsenden Land. Die Position ist mit rund 1,2% des Fondsvolumens noch relativ klein. Im Fall von Kursrücksetzern würden wir hier aber noch zukaufen.
San Miguel Corp in PHP | 1 Jahr
Quelle: Reuters
Südostasien – überdurchschnittlich attraktiv!
Die Philippinen sind ein großes Land, das sich aktuell auch recht gut entwickelt. Mit Indonesien, wo sich in den letzten Jahren ein enormer Ehrgeiz und eine starke Wachstumsdynamik entfaltet haben, können sie aber noch nicht mithalten. Das Inselreich bleibt wirtschaftlich – im Vergleich – bisher noch unter seinen Möglichkeiten. Dafür sind dort aber die Bewertungen attraktiver – was vor allem für Aktien aus den hinteren Reihen gilt.
Malaysia und das Sultanat Brunei, die ich auf meiner Reise ebenfalls besucht habe, wirken im Vergleich zum Rest Südostasiens immer noch ziemlich verschlafen. Singapur dagegen bleibt eine faszinierende Metropole, in der der Drang nach Erfolg und Innovationen wie eh und je mit Händen zu greifen ist.
Allerdings verfügt der Stadtstaat auch längst über einen hochentwickelten Finanzsektor, so dass das Auffinden unentdeckter und unterbewerteter Aktien dort nicht mehr ganz einfach ist. Letztlich ist Südostasien aber nach wie vor eine gesunde und dynamische Region, die viele Anleger in letzter Zeit zu Unrecht aus den Augen verloren haben.
Nigeria und Indonesien bleiben tragende Säulen
Der Anteilswert des AvH Emerging Markets Fonds hat sich im abgelaufenen Quartal leicht um 0,5% verringert. Er hat sich damit in etwa so entwickelt wie der MSCI Emerging Markets Index, der allerdings wegen seiner komplett unterschiedlichen Ausrichtung nur bedingt als Richtschnur taugt. Der AvH Emerging Markets Fonds verfolgt einen konsequent an Substanz und Werthaltigkeit orientierten Ansatz, und agiert dadurch bevorzugt an den Börsen der aufstrebenden Frontier Markets sowie in Ländern, die bei den internationalen Institutionellen aus unterschiedlichen Gründen zurzeit unpopulär sind.
Auch im ersten Quartal blieb der AvH Emerging Markets Fonds mit Abstand am stärksten in Nigeria engagiert. Der Anteil der Investments in Afrikas bevölkerungsreichstem Land lag zum Quartalsende bei knapp 22%. Der Anteil indonesischer Aktien blieb mit rund 13% am Portfolio ebenfalls relativ konstant.
Stark ausgebaut wurden mit unseren neuen Zukäufen die Positionen aus den Philippinen, die zum Quartalsende für fast 8% des Fondsportfolios standen, was der dritthöchsten Ländergewichtung entspricht. In den in klassischen Schwellenländer-Indizes besonders hoch gewichteten Ländern China, Indien, Taiwan und Südkorea haben wir weiter keinerlei Investments getätigt.
Portfolio mit einem KGV von 3
AvH Kennzahlen im Vergleich
Quelle: Bloomberg
Die starke Value-Ausrichtung des AvH Emerging Markets Fonds lässt sich auch an den Bewertungs-Kennzahlen ablesen. Die im Portfolio enthaltenen Aktien warfen zum Quartalende eine durchschnittliche Dividendenrendite von 5,9% ab. Das durchschnittliche Kurs-Buchwert-Verhältnis lag bei 0,7. Besonders stolz sind wir aber auf das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis, das mittlerweile auf einen Wert von nur noch 3,3 abgesunken ist.
Das Portfolio als solches weist also nicht nur einen erheblichen Abschlag auf die Substanz der Zielunternehmen auf, sondern diese überzeugen auch mit einer hohen Ertragskraft, die sich mittlerweile nochmals deutlich erhöht hat. Es bleibt aber festzuhalten, dass diese Werthaltigkeit im Lauf der Jahre nur dadurch eingekauft werden konnte, weil wir uns den gängigen Trendthemen und sonstigen Narrativen der Märkte seit Bestehen des Fonds fast immer widersetzt haben.
Die Märkte, in denen wir aktiv sind, drängen sich aus Sicht der meisten Anleger zurzeit nicht unbedingt auf. Wir befinden uns schließlich in einer undurchsichtigen und volatilen Marktphase, in der verstärkt wieder auf Risikobegrenzung Wert gelegt wird. Wir können aber nicht oft genug betonen, dass es nicht die vermeintlich unsoliden Schwellenländer sind, denen wir die großen finanziellen Verwerfungen der letzten Jahre zu verdanken haben.
Das Scheitern der bequemen Lösungen
Der Kern der derzeitigen Misere ist und bleibt das Gebaren der reichen Länder, die sich schon seit vielen Jahren der wirtschaftlichen Realität verweigern, und die versucht haben, ihre offensichtlichen Probleme mit immer mehr Schulden und billigem Geld beiseitezuschieben. Die akute Geldentwertung und die systemische Fragilität, die wir gerade erleben, sind daraus die folgerichtige Konsequenz, die sich nun nicht mehr mit den bisherigen – ach so bequemen – Methoden aus der Welt schaffen lässt.
Der Ernst des gegenwärtigen Dilemmas scheint den Entscheidern erst langsam zu dämmern. Christine Lagarde hat erst kürzlich wieder betont, dass die EZB in der aktuellen Krise standhaft bleibe, und dass es keinen Widerspruch zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität gebe. Dies dürfte nun aber – am Ende einer langen Reihe von Fehlern und Versäumnissen – der letzte entscheidende Irrtum sein. Denn die Zentralbanken werden sich unvermeidlich entscheiden müssen – und sie werden die Inflationsbekämpfung dann im Zweifel der Systemstabilisierung opfern.
Investieren, wenn es „weh tut“
Als Anleger heißt das für uns, dass es an den Märkten turbulent bleiben kann. Das darf uns aber keineswegs dazu verleiten, uns zurückzuziehen und nur noch Bargeld zu horten. Stattdessen sollten wir alle Hebel in Bewegung setzen, um noch an günstige und solide Sachwerte zu kommen. Denn nur Substanz kann langfristig Schutz und Werterhalt bieten.
Es überrascht sowieso immer wieder, dass Aktien oft gerade dann gemieden werden, wenn gleichzeitig der Wert des Geldes für jedermann sichtbar dahinschwindet. Der Grund für diese Zurückhaltung ist dann meist ist die allgemeine Unsicherheit. Die Erfahrung lehrt aber, dass man ohnehin am besten dann investiert, wenn man sich innerlich besonders stark dagegen sträubt. Schon der Börsen-Altmeister Kostolany wusste, dass Kursgewinne vor allem als „Schmerzensgeld“ verstanden werden sollten.
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